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56 Stunden Zugfahrt – ein Protokoll: Teil I

Die Zugfahrt nach Tibet ist bereits das erste Highlight einer Reise durch die autonome Provinz. Es war wahrlich nicht einfach an Tickets zu kommen, aber irgendwie haben wir es am Ende doch geschafft. 24h von Chengdu nach Xining, dann gute 8h Aufenthalt, und anschließend noch einmal knapp 24h von Xining nach Lhasa. Das Protokoll unserer Zugfahrt.

8:30:
Der erste Wecker klingelt. Im eingespielten Rhythmus Sophie – Fabian – Thomas geht es unter die Dusche, und nach nur wenig mehr als fünf Stunden Schlaf sind wir noch ziemlich durch den Wind.

10:11:
Alle Sachen sind gepackt, und was wir nicht brauchen, ist untergestellt. Nach unserer Rückkehr nach Chengdu werden wir die Sachen im Hostel wieder abholen können. Nach dem Auschecken geht es mit dem Taxi zum Bahnhof.

10:39:
Am Bahnhof herrscht wie erwartet das große Gedränge. Wir spielen im Kontrollwahn der Chinesen mit. Erst muss man kurz sein Ticket vorzeigen, und anschließend werden Ticket und Pass gründlicher überprüft, ehe man sein komplettes Gepäck durch einen Scanner ziehen lassen darf. Dann sind wir endlich in der Wartehalle, die natürlich auch heillos überfüllt ist.

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10:58:
Um dem großen Chaos etwas zu entwischen, frühstücken wir in einem kleinen Imbiss im Bahnhof chinesische Baozi. Wir haben den letzten Bissen gerade verschlungen, als ein mittlerer Aufruhr in der Wartehalle entsteht. Die Bahnhofsangestellten weisen uns nach Vorlage unserer Tickets an, in einen anderen Teil des Bahnhofs zu gehen. Wir verstehen sprichwörtlich nur Bahnhof, folgen aber den Anweisungen.

11:03:
Das komplette Gepäck mit schweren Rucksäcken sowie allen Fressalien und Getränken haben wir von einer Ecke in die andere gehievt und stehen nun erneut in einer Schlange, an deren Ende man an einem Schalter noch einmal 10 Yuan zahlen soll. Uns erschließt sich der Sinn und Zweck nicht genau, aber nach einem Jahr in China haben wir uns abgewöhnt, alles auf Sinn und Zweck zu hinterfragen. Wir stellen uns brav an, zahlen, und stehen in einer weiteren Schlange.

11:12:
Eine englischsprechende Chinesin hinter uns spricht uns an und klärt uns über das auf, was gerade passiert. Unwissend haben wir uns in die Schlange für den Transport direkt zum eigenen Waggon gestellt. Wir werden also auf eine Art überdimensioniertes Golf Car geladen und keine Minute später wieder direkt am Eingang zum Zug rausgelassen. Überflüssig, aber irgendwie doch ganz angenehm.

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11:21:
Wir werden in den Waggon gelassen, und der Transport bringt nun noch den Vorteil, dass wir als erstes den Zug betreten und uns im Gepäckfach mit unseren Rucksäcken schön breit machen können. Die langsam eintrudelnden anderen Gäste sind über die Ausländer in ihrem Abteil überrascht und erfreut und finden direkt eine sinnvolle Verwendung für Fabian und Thomas, die nun massenweise Koffer in die Gepäckablage stemmen dürfen.

11:56:
Wenn man sich in China auf eine Sachen verlassen kann, dann auf pünktliche Züge. Auf die Minute genau fahren wir vom Bahnhof in Chengdu los. Wir fahren in einem hard sleeper Waggon, das heißt je drei Betten sind übereinander und jeweils zwei Dreierkombinationen sind zu einer Art offenem Abteil zusammengefasst. Auf dem Gang sind kleine klappbare Stühle und Tische, so dass wir uns bequem hinsetzen können, obwohl wir die beiden oberen und eins der mittleren Betten in unserem Abteil haben.

12:21:
Eine Schaffnerin kommt vorbei und tauscht das Ticket von jedem Passagier gegen eine Karte im Chipkartenformat. Kurz vor dem Aussteigen wird die Karte wieder zurückgetauscht werden und wir werden unsere Tickets zurückbekommen. Wir wissen nicht, warum man so einen Aufwand betreibt, aber hinterfragen haben wir uns ja abgewöhnt, siehe oben.

12:34:
Die drei Frauen, die noch mit uns im Abteil fahren, laden uns ein, auch auf ihrem Bett zu sitzen, so dass wir uns verhältnismäßig breit machen können. Wir wagen uns an die Unmengen an Vorräten und speisen als erstes je eine Packung Maggi Kartoffelbrei. Heißes Wasser wird in jedem Waggon zu Verfügung gestellt. Alles, was wir machen, wir von unseren Mitreisenden genau begutachtet, zumindest von denen, die sich noch nicht ins Bett gelegt haben und auf ominöse Art 95% der gesamten Zugfahrt durschlafen werden.

13:33:
Thomas macht sich an die Kreation japanischer Süßigkeiten, eines der letzten Überbleibsel von den vielen Dingen, die wir in Peking einfach mal ins Auto gepackt hatten, weil sie zu schade waren zum weg schmeißen und zu unwesentlich um sie nach Deutschland zu schicken. Um uns herum wird gerätselt, was wir da nur machen.

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14:25:
Wir trinken Tee und Kaffee, und essen eigentlich durchgehend aus unseren Vorräten, die einfach nicht weniger werden wollen. Die drei Frauen aus unserem Abteil haben es sich bei den Nachbarn bequem gemacht, so dass wir noch mehr Platz haben.

15:36:
Scheinbar ununterbrochen laufen Leute über den Gang, von links nach rechts und von rechts nach links. Wir können kaum zwei Minuten mal ruhig sitzen bleiben und müssen die ganze Zeit Platz machen. Zwischendrin wechseln wir mal ein paar Worte auf Chinesisch mit den anderen Passagieren. Die Erkenntnisse werden direkt lautstark von diesen weitergegeben. Deutsche! Tsinghua Universität! Sie wollen nach Lhasa! Wir sind offenbar äußerst interessant.

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17:12:
Thomas kommt etwas geschockt vom Toilettenbesuch zurück. Dass es nur Stehklos geben würde, war uns vorher schon klar. Aber dass man die Tür beim Geschäft erledigen nur anlehnt und Unwissende damit zum zugucken einlädt, ist doch immer wieder eine seltsame Überraschung.

18:43:
Wir vertreiben uns die Zeit mit Skat spielen, lesen und quatschen. Zwischendrin sortieren wir noch Fotos und arbeiten an neuen Blogeinträgen. Und eigentlich essen wir auch ununterbrochen. Doch der Inhalt unser Fresstüten will einfach nicht weniger werden. Offenbar haben wir uns bei der Kalkulation der Vorräte ordentlich verschätzt.

19:49:
Mit einem resoluten „This! No!“ zieht eine Schaffnerin unsere Mehrfachsteckleiste aus der Steckdose und macht uns unmissverständlich klar, dass so etwas nicht erlaubt ist. Ihre Kollegin hatte uns vorher schon darauf hingewiesen, aber wir dachten, mit der Nummer der Nichts-verstehenden würden wir vielleicht durchkommen. Naja, unsere Geräte sind alle soweit geladen, daher ist der Verlust nicht so tragisch.

20:54:
Nicht nur die Essens-, sondern auch die Alkoholvorräte wollen geleert werden. Daher genehmigen wir uns vor dem Schlafen gehen ein paar Tropfen unseres Schlummertrunks. Auch ungekühlt geht das russische Wässerchen gut runter.

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22:02:
Pünktlich geht das Licht aus, und wir machen uns noch bettfertig, ehe wir uns in die doch ziemlich schmalen und kleinen Betten zwängen. Fabians Füße hängen die ganze Nacht über jenseits der Bettkante im Gang, aber es ist ziemlich ruhig und schläft sich erstaunlich gut. Das Personal geht, ausgerüstet mit einer Taschenlampe, jedes einzelne Bett durch und kontrolliert, dass wir wirklich nur genau eine Person dort liegt.

09:48:
Vom Trubel im Gang werden wir am nächsten Tag geweckt. Wir sind offenbar so ziemlich die letzten, die das Tageslicht erblicken, aber uns bleibt noch genug Zeit, um ausgiebig zu frühstücken und weiter am Leeren unserer Vorräte zu arbeiten.

12:32:
Pünktlich fahren wir in den Bahnhof in Xining ein, und mit dem Menschenstrom verlassen wir den Bahnhof. Auf einem Poller an der Straße sitzend wartet bereits Maren auf uns, und für die Zeit in Tibet werden wir wieder zu viert sein. Jetzt haben wir etwas Zeit um uns die Stadt Xining anzusehen, ehe es am Abend wieder für 24h in den Zug geht.

Weiter geht es mit Teil II.

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